Susanne Schultz (2003): Neoliberale Transformation internationaler Bevölkerungspolitik. Die Politik Post-Kairo aus der Perspektive der Gouvernementalität (PDF), S. 7: „Auf den ersten Blick erscheint die Betonung des Themas Müttersterblichkeit durch die Programme des population establishment als erfolgreiches Einschränken antinatalistischer Ziele, scheint dies doch zu versprechen, dass nicht nur das Recht, sich gegen Kinder zu entscheiden, sondern auch das Recht auf Gesundheitsdienste, um ‚sicher durch Schwangerschaft und Geburt zu gehen‘ (Paragraph 7.2. des Aktionsprogramms) ernst genommen werde. Allerdings ist der Diskurs über Müttersterblichkeit über verschiedene epidemiologische Erhebungen und Kategorien von Risiken an antinatalistische Strategien gekoppelt.“
Vgl. BMZ: „Für die nachhaltige Entwicklung dieser Länder ist es wichtig, das Bevölkerungswachstum abzuschwächen und demografischen Veränderungen Rechnung zu tragen. Die Verwirklichung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte ist eine der Voraussetzungen dafür, dass das gelingen kann.“
"Sterilization is the most common method of family planning used by India’s Reproductive and Child Health Programme Phase II, begun in 2005 with UK funding.", sowie: "The UK’s aid agency cited a need to address climate change by reducing population as a key reason to fund India’s abusive program, reports The Guardian." (Wendy Wright [2012]: UK Aid Pays for Forced Sterilizations in India).
Vgl. Judith A. M. Scully: Black Women and the Development of International Reproductive Health Norms. In: Black Women and International Law. Deliberate Interactions, Movements and Actions, S. 225–249, DOI: 10.1017/CBO9781139108751.013, Cambridge University Press 2015.
frauen-rechte-gesundheit.org
Die Begrifflichkeit „ideological schizophrenia“ in diesem Kontext wurde ursprünglich durch das Committee on Women, Population, and the Environment 1999 verwendet, im deutschsprachigen Raum „ideologische Schizophrenie“ insbesondere von Susanne Schultz. Vgl. Das Schweigen nach Kairo. Institutionalisierte Bevölkerungspolitik (PDF; 372 kB), S. 23.
jstor.org
„In der politischen Auseinandersetzung ist die entscheidende Frage, ob die ‚Bio-Politik der Bevölkerung‘, wie Foucault es genannt hat (Foucault 1977), die eigentliche Machttechnik der Neuzeit und damit die Grundlage für die totalitären Erscheinungen ist. Ober, ob vielmehr die‚ Rationalisierung der Fortpflanzung‘ die individuelle Antwort auf die sozialen und ökonomischen Umwälzungen darstellt (Dienel 1995). Ist also die zunehmende Verbreitung von Verhütungsmitteln in alle Länder der Erde ein zwar von internationalen Organisationen unterstützter Prozeß, der aber im wesentlichen auf ein verändertes Fortpflanzungsverhalten reagiert? Oder wird Frauen im Süden wie auch Minderheiten im Norden mit massiver Propaganda und mehr oder weniger subtilem Zwang die Kontrolle ihrer Fortpflanzung aufoktroyiert? In etwa dieser Widerspruch spaltete auch die internationalen Frauengruppen, die sich auf der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 mit Bevölkerungspolitik auseinandersetzten. Die einen, überwiegend in internationalen Organisationen arbeitenden Frauen haben mit ihrem Manifest ‚Women´s Voices‘ (vgl. Auszug) für die Einmischung in die internationale Bevölkerungspolitik plädiert und wollen eine Bevölkerungspolitik unterstützen, die Frauen das Recht auf reproduktive Gesundheit und Selbstbestimmung garantiert (vgl. Heim/Schaz 1996: 173). Frauen sollten die Chance ergreifen, sich einzumischen (vgl. ebd.: 176). Sie glauben daran, daß Frauen sich selbst für Verhütungsmittel entscheiden würden und deshalb vor allem die Bedingungen für Familienplanung in Hinblick auf Gesundheitsversorgung verbessert werden müßten.
‚Ich glaube, daß das Konzept der reproduktiven Rechte die Basis von Bevölkerungspolitik werden kann und sollte (...) Ich glaube fest daran, daß es kein Bevölkerungsproblem geben würde, wenn Frauen wirklich eine Wahl hätten‘ (Marge Berger, zit. nach Heim/Schaz 1996: 192).
Die Gegenposition ist in der Erklärung des Feministischen Netzwerkes gegen Gen- und Reproduktionstechnologien (FINRRAGE) von Comilla, Bangladesh, zusammengefaßt:
„Bevölkerungspolitik hat zum Ziel, über die Körper, die Fruchtbarkeit und das Leben von Frauen zu bestimmen, denn bisher sind es immer noch die Frauen, die Kinder bekommen. Bevölkerungspolitik ist rassistisch und eugenisch und bedeutet Selektion: Sie spricht den einen das Recht auf Überleben zu, während sie es gleichzeitig allen anderen abspricht: indigenen Menschen, behinderten Menschen und Schwarzen. Sie hat das Ziel, die Armen abzuschaffen, nicht die Armut. Bevölkerungspolitik vertritt die Interessen der privilegierten Schichten, die im Norden wie im Süden ihren verschwenderischen Lebensstil verteidigen. Es kann keine feministische Bevölkerungspolitik geben, denn das würde allen Positionen von Frauenbefreiung widersprechen und ihre Grundsätze verletzen' (nach Schlebusch 1994: 175).“ (Heide Mertens: Frauen und internationale Bevölkerungspolitik. Was heißt hier Selbstbestimmung. In: Lokal bewegen, global verhandeln. Internationale Politik und Geschlecht (Hg. Uta Ruppert). Frankfurt und New York 1998, S. 157 f.)
Das Paradigma einer nachhaltigen Entwicklung, also die Verknüpfung von Umwelt-, Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik findet sich bereits im Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Abschlusserklärung zur UN-Konferenz in Rio 1992) (PDF), beispielsweise Grundsatz 8: „Um nachhaltige Entwicklung und eine höhere Lebensqualität für alle Menschen herbeizuführen, sollten die Staaten nicht nachhaltige Produktionsweisen und Konsumgewohnheiten abbauen und beseitigen und eine geeignete Bevölkerungspolitik fördern.“ Das damals noch neue „umweltpolitische Sustainability-Paradigma“ war insofern auch Thema bei der Weltbevölkerungskonferenz 1994 – vgl. Bianca Többe Gonçalves: Bevölkerung und Entwicklung. Münster 2000, S. 100.